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Rede anlässlich der
Eröffnung der Ausstellung am 1.6.16 im Hafenschuppen 6,
Lübeck
Die 1920er
Jahre, das Jahrzehnt, in
dessen Mitte die Mäzenin Ida Dehmel die „Gemeinschaft Deutscher und
Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen“, kurz
„GEDOK“,
gründete, waren eine durchaus turbulente Zeit. Wirtschaftlich ging es
während
der ‚Hyperinflationsphase’ bis 1923 zunächst steil bergab, um danach
mit umso
mehr Schwung in den ‚Goldenen Zwanzigern’ in einer weltweiten Expansion
zu
münden. Sie führte zu einer überraschenden Blütezeit von Kunst und
Kultur,
welche vor allem durch einen absoluten Stilpluralismus geprägt war. Es
war die
Zeit des Expressionismus, des Dadaismus und des beginnenden
Surrealismus. Alles
schien möglich zu sein, die Kunst wurde durch neue Themen beflügelt,
erstmals
war kritisches Malen en vogue. In der Folge des Ersten Weltkrieges
nahmen sich
die Künstler der Neuen Sachlichkeit die Freiheit, gesellschaftliche
Missstände
abzubilden. Sie widmeten sich dem Großstadtleben, der Kluft zwischen
Arm und
Reich und gaben ein neues, selbstbewusstes Frauenbild wieder.
Die Frau der
20er Jahre bediente sich
gerne Accessoires mit schockierender Wirkung, deren bestes Beispiel die
extralange Zigarettenspitze ist. Sie zeugte von extravaganter Eleganz,
derer
sich auch Ida Dehmel bediente. Perlen, Federboas, Stirnbänder und der
Bubikopf
rundeten das Bild einer Frau ab, der mit der Gründung der Weimarer
Republik nun
auch das Wahlrecht zugesprochen wird.
Gleichzeitig
ziehen drohende
Vorzeichen auf: bereits 1920 wird die NSDAP gegründet, ein Jahr später
erhält
Adolf Hitler den Vorsitz innerhalb der Partei, 1925 erscheint sein Buch
„Mein
Kampf“. Von den Umwälzungen, die in der Folge stattfinden, wird Ida
Dehmel als
Jüdin unmittelbar betroffen sein.
Zunächst
jedoch gelingt ihr mit der Gründung der GEDOK ein beeindruckender
Vorstoß. Die
Arbeiten der Ausstellung „aufgetischt“ anlässlich des 90jährigen
Jubiläums der
GEDOK befassen sich aus verschiedenen Blickwinkeln und unter diversen
Aspekten
mit Ida Dehmel und den 1920er Jahren. Viele sind kritisch und
gesellschaftspolitisch, kann doch Ida Dehmel selbst durchaus als
Frauenrechtlerin gesehen werden. So wird hier nun ordentlich
aufgetischt:
Tatsachen werden auf den Tisch gestellt und Dinge in den Fokus gerückt,
die
sonst gerne unter den Tisch fallen.
Maren
Allermann
greift in ihrer Arbeit women oft he twenties II den
Expressionismus als künstlerische Bewegung im frühen 20. Jahrhundert
auf und
bildet in seiner Stilistik die Frau und das Frauenbild der Zeit ab,
wodurch
eine Verschmelzung von Form und Inhalt entsteht. Renate
Basten öffnet mit den hebräischen Buchstaben den politischen
Kontext – die Arbeit Meine Wurzeln
verweist auf die zunehmende Radikalisierung des Antisemitismus und Ida
Dehmels
jüdische Wurzeln. Gleichzeitig lässt sie die Vorahnung der vermehrten
Beschneidung von Rechten der jüdischen Mitbürger aufkeimen.
Ruth
Bleakley-Thiessen thematisiert
mit Die Frau hat eine Seele eine der
wohl bedeutendsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts. In den 20er
Jahren fand
man doch tatsächlich heraus, dass auch Frauen eine Seele haben! Die
Dreidimensionalität des Werkes lässt ein Spiel von Licht und Schatten
entstehen, welches metaphorisch für die verborgenen Seiten der Seele
wie auch
für ihre Schattenseiten steht.
Claudia
Bormann
bezieht sich mit den Musen auf einen wichtigen Aspekt
in der
Biografie der GEDOK-Gründerin – Ida Dehmel war selbst eine große Muse.
Sie
bestärkte und inspirierte sowohl ihren Mann, den Lyriker Richard
Dehmel, als
auch den Dichter Stefan George in ihrer Kunst. Das runde Format der
Arbeiten
begünstigt hier die Drehbewegung um Apoll, den Gott der Künste, der
sich im
Zentrum des Bildes befindet und als Platzhalter für beide Herren stehen
kann.
Nach und nach rückt Ida jedoch selbst an die zentrale Position und wird
von der
Muse der Männer zur Förderin der Frauen.
Was hätte Ida
Dehmel erreichen können, hätte sie heute gelebt? Die Frage stellt sich
in
Anbetracht der Arbeit zeitfremd von Birgit
Bornemann. Der Titel verleitet
zum Nachdenken darüber, ob Ida Dehmel ihrer Zeit möglicherweise voraus
war, ob
sie mit ihrem Denken zu sehr Vorreiterin gewesen ist und heute weit
mehr hätte
erreichen können?!
Den
Ereignissen und Umbrüchen in den
1920er Jahren widmet sich Astrid Claus
mit Farbe bekennen. Farbe bekommt
zum einen die abgebildete Familie bei ihrem Strandausflug. Zum anderen
kann der
Titel als Metapher für die kulturelle Freiheit und Vielfalt verstanden
werden,
die während der Weimarer Republik, der ersten parlamentarischen
Demokratie in
Deutschland, erblühte. In diversen –ismen, wie dem Kubismus oder
Dadaismus,
versuchten sich die Künstler an Radikalität und Experimentierfreude
gegenseitig
zu überbieten.
Als „armes Huhn“ bezeichnet sich Ida Dehmel, als man sie nicht
in den 1913
in Berlin gegründeten Frauenkunstverband aufnimmt, dessen Vorsitz Käthe
Kollwitz innehat. Monika-Maria Dotzer
greift dieses Zitat auf und verbildlicht es. Bildwerdung eines
Ausdrucks findet
sich auch bei Barbara Engel: Abgelegt
stellt die Frage, was bleibt,
wenn der ganze Pomp und die getragene Rolle abgelegt werden. Um Rollen
geht es
auch in Hildegard Grenzemann-Spillers Möhrenklaviatur.
Mit feinsinniger
Ironie spielt sie auf den Kult um die Ernährung an, der sich in den
20er Jahren
in Form der Ansprüche an die Gastgeberin ausdrückte, mehrgängige und
ausgefeilte Menus zu servieren, und sich heute vor allem in Form des
Hypes um
eine gesunde Ernährung sowie der Erwartung an Frauen zeigt, schlank zu
sein und
zu bleiben. Demgegenüber präsentiert Karin
Hilbers mit Aufbruch in andere
Zeiten V einen Hoffnungsschimmer des Wandels und des Ausbruchs aus
der
gesellschaftlichen Enge.
Annelies
Hölschers
Collage Der
Rabe erinnert auf formaler Ebene an das Frauenbild Picassos, der
die 20er
Jahre künstlerisch bedeutend prägte. Eine formale Anlehnung an die
Kunstrichtungen der Zeit findet sich auch bei Bruni Jürss.
In dem Bild mit dem Titel Ida betrachtet sie Ida
Dehmel aus der dadaistischen Sichtweise.
Besonders sinnig ist diese Verbindung, da letztlich Dada genauso wie
Ida Dehmel
erheblichen Einfluss auf die aktuelle Kunstwelt ausgeübt haben. Die
Auswirkungen von Idas Ideen auf die Kunst thematisiert auch Christin
Karbaum. In ihren Früchten einer Idee porträtiert
sie die
GEDOK-Gründerin wie auch weitere Künstlerinnen der 20er Jahre bis heute
und
fertigt damit eine Genealogie des Reifens einer Idee.
Um Zwiespalt
und die politischen und
gesellschaftlichen Probleme geht es in Antonia
Lindenbergs Bild Selma. Die
Inschrift wirft einen Blick voraus, das Datum 1942 lässt uns als
Betrachter
automatisch assoziieren und der uns unbekannten Selma eine
Lebensgeschichte
andichten, die aufgrund dieser Hinweise wahrscheinlich erscheint.
Politisch
inspiriert ist gleichfalls das Werk Blätterlachen
von Eva-Maria Mehrgardt. 2014
forderte der türkische Vizepräsident ein Lachverbot für Frauen. Er
scheint
erkannt zu haben, dass Lachen eine Waffe sein kann, sowie die
Infragestellung
von Autoritäten ausdrückt. Wenn Sie kurz überlegen, wie viele Bilder
lachend
dargestellter Personen Sie in der Kunstgeschichte benennen können, wird
die
Liste recht kurz ausfallen, was uns definitiv zu denken geben sollte... Zwar nicht das Lachen an sich, jedoch die
unbändige Lebensfreude, welche vor allem in den Goldenen Zwanzigern
beheimatet
ist, macht Karin Mohrdieck zum Thema
ihrer Arbeit Ja. Ja zum Leben,
ausgedrückt durch die Akzeptanz des Alterns und die positive Sicht auf
den letzten
Lebensabschnitt. Freude zeigt sich auch in Titia
Ohlhavers Porträt von Ida Dehmel. Nicht nur die Farben verleihen
der
Malerei eine durchaus positive Aura, sondern die Porträtierte scheint
in diesem
Moment auch durchweg glücklich zu sein.
Marion
Inge Otto-Quos (Mioq) rückt mit ihrer
Fotografie Monokel die Emanzipation der 20er Jahre
in den Fokus. Canita Berber war zu dieser Zeit ein Star, die Tänzerin
trug als
erste Frau den den Herren vorbehaltenen Smoking und ein Monokel.
Außerdem
färbte sie sich den Bauchnabel rot, der Punkt ihres Erscheinens, über
welchen
sie im Foto von Mioq abgebildet wird. Eine Anspielung auf die
Extravaganz und
Dekadenz der Goldenen Zwanziger ist auch die Arbeit Glanz/Dekadenz
von Christine
Regensburger. Im Kontrast zu dieser
Farbigkeit
präsentiert Katharina Reinshagen in
ihrer Arbeit Schwarz-Weiß das visualisierte schwarz-weiß Denken bzw.
das Denken
in Kategorien und Schubladen.
Die Kunst des
Bauhauses ist der
Ausgangspunkt für das Objekt Von der
Fläche in den Raum von Mareile
Schröder. Wassily Kandinsky formuliert in seinen Bildern stets
schwebende
Raumvisionen, die hier in den physischen Raum übertragen werden. Mit
Kunst als
Profession bzw. der Zerrissenheit der Frau in den 20er Jahren, die
sowohl
Künstlerin sein möchte, als auch der gesellschaftlichen Rolle der
Hausfrau
entsprechen muss, setzt sich Rufina
Schröter mit dem Objekt Kochpinsel
auseinander.
Ein Thema,
das nicht erst seit den
20er Jahren, sondern über Jahrhunderte hinweg aktuell ist, beschäftigt Evelyn Steinmetz in ihrer Textarbeit Loswerden.
Hier geht es um
Vergewaltigung und das Loswerden im Sinne von Verarbeitung, die meist
erst dann
stattfinden kann, wenn Betroffene darüber sprechen oder, wie hier,
darüber
schreiben, können. Die aus dem Alltag entnommenen Materialien wie
Butterbrotpapier oder Nudeln machen die Thematik greifbar.
Einen
kritischen Blick auf die
Position der Frau als Künstlerin bildet
Gesche Stiebeling in ihrem
Objekt Brotlos ab. Die gestellte
Frage ist heute nach wie vor so aktuell wie in den 20er Jahren – ist
die Kunst
eine brotlose Tätigkeit und wie ausgewogen sind die Preise für männlich
bzw.
weiblich produzierte Werke heute? Um Urheberschaft geht es auch bei Eva Stueben in ihrer Arbeit no ending
motherhood. Ida Dehmel sagte
einmal, dass es kein Glück der Welt gibt, „das sich mit dem messen
kann, Zeugin
einer schmerzlosen Geburt eines vollendeten Kunstwerks zu sein“.
Insofern kann
der Titel als die nie endende Mutterschaft der Künstlerin gegenüber
ihrem Werk
verstanden werden.
Ein weiteres
Porträt von Ida Dehmel
präsentiert Svenja Wetzstein mit der
Arbeit Ida (nach Bildnis von Julie
Wolf-Thorn). Hier bedürfen jedoch sowohl die Porträtierte, als auch
die
Porträtierende der Aufmerksamkeit. Julie Wolf-Thorn war selbst eine
beeindruckende Persönlichkeit. Zum einen war sie eine bekannte
Porträtmalerin,
die insbesondere Porträts von engagierten Frauen fertigte. Zum anderen
gründete
sie 1906 gemeinsam mit Käthe Kollwitz die Ausstellungsgemeinschaft
„Verbindung
Bildender Künstlerinnen“. Das Original des Porträts befindet sich
übrigens im Treppenhaus
der Staatsbibliothek Hamburg. Eine ganz andere Form des Porträts stellt
Claudia Wilms Arbeit ohne Titel
dar. Durch die Leerstelle an
Stelle des Gesichts können wir als Betrachter uns in dem Objekt, das
einen
Torso mit einem 20er-Jahre-typischen Kopfschmuck darstellt,
wiederfinden und
werden so für einen kurzen Moment selbst zu Zeitgenossen Ida Dehmels.
In diesem
Moment steht für uns der Keksteller
von Inken N. Woldsen bereit, mit
welchem sie auf ironischen Weise die Frauenrolle und die bürgerliche
Gastkultur
aufdeckt.
Die
künstlerischen Arbeiten werden um
die Textarbeiten von sieben Literatinnen ergänzt, welche ihren
Überlegungen zu
Ida Dehmel in Worten ausdrücken. Neben den Kunstwerken finden sich
Texte und
Gedichte von Therese Chromik, Brigitte Halenta, Marion Hinz, Charlotte
Kerner,
Regine Mönkemeier, HannaH Rau und Kristin Warschau.
Insgesamt
habe ich ihnen in diesem
kurzen Abriss gerade 28 Bildende Künstlerinnen und 7
Literatinnen vorgestellt und einen kleinen Überblick über die
thematische
Vielfalt sowie den Facettenreichtum der Ausstellung gegeben. Viele der
Künstlerinnen stellen weitere, von mir nicht besprochene, Arbeiten aus.
In
diesem Sinne auf zu Tisch und viel Freude beim Entdecken der Arbeiten!
Anne Simone
Krüger, Kunsthistorikerin M.A., 2016 |