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AUFGETISCHT - 90 JAHRE GEDOK


Rauminstallation im Hafenschuppen 6, Lübeck, 1. - 15.06.2016 





aufgetischt - 90 Jahre GEDOK  aufgetischt - 90 Jahre GEDOK





Filmbeitrag: Aufgetischt - 90 Jahre GEDOK, Manfred Willner, Lübecker Wochenschau  >>>





Rede anlässlich der Eröffnung der Ausstellung am 1.6.16 im Hafenschuppen 6, Lübeck

Die 1920er Jahre, das Jahrzehnt, in dessen Mitte die Mäzenin Ida Dehmel die „Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen“, kurz „GEDOK“, gründete, waren eine durchaus turbulente Zeit. Wirtschaftlich ging es während der ‚Hyperinflationsphase’ bis 1923 zunächst steil bergab, um danach mit umso mehr Schwung in den ‚Goldenen Zwanzigern’ in einer weltweiten Expansion zu münden. Sie führte zu einer überraschenden Blütezeit von Kunst und Kultur, welche vor allem durch einen absoluten Stilpluralismus geprägt war. Es war die Zeit des Expressionismus, des Dadaismus und des beginnenden Surrealismus. Alles schien möglich zu sein, die Kunst wurde durch neue Themen beflügelt, erstmals war kritisches Malen en vogue. In der Folge des Ersten Weltkrieges nahmen sich die Künstler der Neuen Sachlichkeit die Freiheit, gesellschaftliche Missstände abzubilden. Sie widmeten sich dem Großstadtleben, der Kluft zwischen Arm und Reich und gaben ein neues, selbstbewusstes Frauenbild wieder.

Die Frau der 20er Jahre bediente sich gerne Accessoires mit schockierender Wirkung, deren bestes Beispiel die extralange Zigarettenspitze ist. Sie zeugte von extravaganter Eleganz, derer sich auch Ida Dehmel bediente. Perlen, Federboas, Stirnbänder und der Bubikopf rundeten das Bild einer Frau ab, der mit der Gründung der Weimarer Republik nun auch das Wahlrecht zugesprochen wird.

Gleichzeitig ziehen drohende Vorzeichen auf: bereits 1920 wird die NSDAP gegründet, ein Jahr später erhält Adolf Hitler den Vorsitz innerhalb der Partei, 1925 erscheint sein Buch „Mein Kampf“. Von den Umwälzungen, die in der Folge stattfinden, wird Ida Dehmel als Jüdin unmittelbar betroffen sein.

Zunächst jedoch gelingt ihr mit der Gründung der GEDOK ein beeindruckender Vorstoß. Die Arbeiten der Ausstellung „aufgetischt“ anlässlich des 90jährigen Jubiläums der GEDOK befassen sich aus verschiedenen Blickwinkeln und unter diversen Aspekten mit Ida Dehmel und den 1920er Jahren. Viele sind kritisch und gesellschaftspolitisch, kann doch Ida Dehmel selbst durchaus als Frauenrechtlerin gesehen werden. So wird hier nun ordentlich aufgetischt: Tatsachen werden auf den Tisch gestellt und Dinge in den Fokus gerückt, die sonst gerne unter den Tisch fallen.

Maren Allermann greift in ihrer Arbeit women oft he twenties II den Expressionismus als künstlerische Bewegung im frühen 20. Jahrhundert auf und bildet in seiner Stilistik die Frau und das Frauenbild der Zeit ab, wodurch eine Verschmelzung von Form und Inhalt entsteht. Renate Basten öffnet mit den hebräischen Buchstaben den politischen Kontext – die Arbeit Meine Wurzeln verweist auf die zunehmende Radikalisierung des Antisemitismus und Ida Dehmels jüdische Wurzeln. Gleichzeitig lässt sie die Vorahnung der vermehrten Beschneidung von Rechten der jüdischen Mitbürger aufkeimen.

Ruth Bleakley-Thiessen thematisiert mit Die Frau hat eine Seele eine der wohl bedeutendsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts. In den 20er Jahren fand man doch tatsächlich heraus, dass auch Frauen eine Seele haben! Die Dreidimensionalität des Werkes lässt ein Spiel von Licht und Schatten entstehen, welches metaphorisch für die verborgenen Seiten der Seele wie auch für ihre Schattenseiten steht.

Claudia Bormann bezieht sich mit den Musen auf einen wichtigen Aspekt in der Biografie der GEDOK-Gründerin – Ida Dehmel war selbst eine große Muse. Sie bestärkte und inspirierte sowohl ihren Mann, den Lyriker Richard Dehmel, als auch den Dichter Stefan George in ihrer Kunst. Das runde Format der Arbeiten begünstigt hier die Drehbewegung um Apoll, den Gott der Künste, der sich im Zentrum des Bildes befindet und als Platzhalter für beide Herren stehen kann. Nach und nach rückt Ida jedoch selbst an die zentrale Position und wird von der Muse der Männer zur Förderin der Frauen.

Was hätte Ida Dehmel erreichen können, hätte sie heute gelebt? Die Frage stellt sich in Anbetracht der Arbeit zeitfremd von Birgit Bornemann. Der Titel verleitet zum Nachdenken darüber, ob Ida Dehmel ihrer Zeit möglicherweise voraus war, ob sie mit ihrem Denken zu sehr Vorreiterin gewesen ist und heute weit mehr hätte erreichen können?!

Den Ereignissen und Umbrüchen in den 1920er Jahren widmet sich Astrid Claus mit Farbe bekennen. Farbe bekommt zum einen die abgebildete Familie bei ihrem Strandausflug. Zum anderen kann der Titel als Metapher für die kulturelle Freiheit und Vielfalt verstanden werden, die während der Weimarer Republik, der ersten parlamentarischen Demokratie in Deutschland, erblühte. In diversen –ismen, wie dem Kubismus oder Dadaismus, versuchten sich die Künstler an Radikalität und Experimentierfreude gegenseitig zu überbieten.

Als „armes Huhn“ bezeichnet sich Ida Dehmel, als man sie nicht in den 1913 in Berlin gegründeten Frauenkunstverband aufnimmt, dessen Vorsitz Käthe Kollwitz innehat. Monika-Maria Dotzer greift dieses Zitat auf und verbildlicht es. Bildwerdung eines Ausdrucks findet sich auch bei Barbara Engel: Abgelegt stellt die Frage, was bleibt, wenn der ganze Pomp und die getragene Rolle abgelegt werden. Um Rollen geht es auch in Hildegard Grenzemann-Spillers Möhrenklaviatur. Mit feinsinniger Ironie spielt sie auf den Kult um die Ernährung an, der sich in den 20er Jahren in Form der Ansprüche an die Gastgeberin ausdrückte, mehrgängige und ausgefeilte Menus zu servieren, und sich heute vor allem in Form des Hypes um eine gesunde Ernährung sowie der Erwartung an Frauen zeigt, schlank zu sein und zu bleiben. Demgegenüber präsentiert Karin Hilbers mit Aufbruch in andere Zeiten V einen Hoffnungsschimmer des Wandels und des Ausbruchs aus der gesellschaftlichen Enge.

Annelies Hölschers Collage Der Rabe erinnert auf formaler Ebene an das Frauenbild Picassos, der die 20er Jahre künstlerisch bedeutend prägte. Eine formale Anlehnung an die Kunstrichtungen der Zeit findet sich auch bei Bruni Jürss. In dem Bild mit dem Titel Ida betrachtet sie Ida Dehmel aus der dadaistischen Sichtweise. Besonders sinnig ist diese Verbindung, da letztlich Dada genauso wie Ida Dehmel erheblichen Einfluss auf die aktuelle Kunstwelt ausgeübt haben. Die Auswirkungen von Idas Ideen auf die Kunst thematisiert auch Christin Karbaum. In ihren Früchten einer Idee porträtiert sie die GEDOK-Gründerin wie auch weitere Künstlerinnen der 20er Jahre bis heute und fertigt damit eine Genealogie des Reifens einer Idee.

Um Zwiespalt und die politischen und gesellschaftlichen Probleme geht es in Antonia Lindenbergs Bild Selma. Die Inschrift wirft einen Blick voraus, das Datum 1942 lässt uns als Betrachter automatisch assoziieren und der uns unbekannten Selma eine Lebensgeschichte andichten, die aufgrund dieser Hinweise wahrscheinlich erscheint. Politisch inspiriert ist gleichfalls das Werk Blätterlachen von Eva-Maria Mehrgardt. 2014 forderte der türkische Vizepräsident ein Lachverbot für Frauen. Er scheint erkannt zu haben, dass Lachen eine Waffe sein kann, sowie die Infragestellung von Autoritäten ausdrückt. Wenn Sie kurz überlegen, wie viele Bilder lachend dargestellter Personen Sie in der Kunstgeschichte benennen können, wird die Liste recht kurz ausfallen, was uns definitiv zu denken geben sollte...  Zwar nicht das Lachen an sich, jedoch die unbändige Lebensfreude, welche vor allem in den Goldenen Zwanzigern beheimatet ist, macht Karin Mohrdieck zum Thema ihrer Arbeit Ja. Ja zum Leben, ausgedrückt durch die Akzeptanz des Alterns und die positive Sicht auf den letzten Lebensabschnitt. Freude zeigt sich auch in Titia Ohlhavers Porträt von Ida Dehmel. Nicht nur die Farben verleihen der Malerei eine durchaus positive Aura, sondern die Porträtierte scheint in diesem Moment auch durchweg glücklich zu sein.

Marion Inge Otto-Quos (Mioq) rückt mit ihrer Fotografie Monokel die Emanzipation der 20er Jahre in den Fokus. Canita Berber war zu dieser Zeit ein Star, die Tänzerin trug als erste Frau den den Herren vorbehaltenen Smoking und ein Monokel. Außerdem färbte sie sich den Bauchnabel rot, der Punkt ihres Erscheinens, über welchen sie im Foto von Mioq abgebildet wird. Eine Anspielung auf die Extravaganz und Dekadenz der Goldenen Zwanziger ist auch die Arbeit Glanz/Dekadenz von Christine Regensburger. Im Kontrast zu dieser Farbigkeit präsentiert Katharina Reinshagen in ihrer Arbeit Schwarz-Weiß das visualisierte schwarz-weiß Denken bzw. das Denken in Kategorien und Schubladen.

Die Kunst des Bauhauses ist der Ausgangspunkt für das Objekt Von der Fläche in den Raum von Mareile Schröder. Wassily Kandinsky formuliert in seinen Bildern stets schwebende Raumvisionen, die hier in den physischen Raum übertragen werden. Mit Kunst als Profession bzw. der Zerrissenheit der Frau in den 20er Jahren, die sowohl Künstlerin sein möchte, als auch der gesellschaftlichen Rolle der Hausfrau entsprechen muss, setzt sich Rufina Schröter mit dem Objekt Kochpinsel auseinander.

Ein Thema, das nicht erst seit den 20er Jahren, sondern über Jahrhunderte hinweg aktuell ist, beschäftigt Evelyn Steinmetz in ihrer Textarbeit Loswerden. Hier geht es um Vergewaltigung und das Loswerden im Sinne von Verarbeitung, die meist erst dann stattfinden kann, wenn Betroffene darüber sprechen oder, wie hier, darüber schreiben, können. Die aus dem Alltag entnommenen Materialien wie Butterbrotpapier oder Nudeln machen die Thematik greifbar.

Einen kritischen Blick auf die Position der Frau als Künstlerin bildet Gesche Stiebeling in ihrem Objekt Brotlos ab. Die gestellte Frage ist heute nach wie vor so aktuell wie in den 20er Jahren – ist die Kunst eine brotlose Tätigkeit und wie ausgewogen sind die Preise für männlich bzw. weiblich produzierte Werke heute? Um Urheberschaft geht es auch bei Eva Stueben in ihrer Arbeit no ending motherhood. Ida Dehmel sagte einmal, dass es kein Glück der Welt gibt, „das sich mit dem messen kann, Zeugin einer schmerzlosen Geburt eines vollendeten Kunstwerks zu sein“. Insofern kann der Titel als die nie endende Mutterschaft der Künstlerin gegenüber ihrem Werk verstanden werden.

Ein weiteres Porträt von Ida Dehmel präsentiert Svenja Wetzstein mit der Arbeit Ida (nach Bildnis von Julie Wolf-Thorn). Hier bedürfen jedoch sowohl die Porträtierte, als auch die Porträtierende der Aufmerksamkeit. Julie Wolf-Thorn war selbst eine beeindruckende Persönlichkeit. Zum einen war sie eine bekannte Porträtmalerin, die insbesondere Porträts von engagierten Frauen fertigte. Zum anderen gründete sie 1906 gemeinsam mit Käthe Kollwitz die Ausstellungsgemeinschaft „Verbindung Bildender Künstlerinnen“. Das Original des Porträts befindet sich übrigens im Treppenhaus der Staatsbibliothek Hamburg. Eine ganz andere Form des Porträts stellt Claudia Wilms Arbeit ohne Titel dar. Durch die Leerstelle an Stelle des Gesichts können wir als Betrachter uns in dem Objekt, das einen Torso mit einem 20er-Jahre-typischen Kopfschmuck darstellt, wiederfinden und werden so für einen kurzen Moment selbst zu Zeitgenossen Ida Dehmels. In diesem Moment steht für uns der Keksteller von Inken N. Woldsen bereit, mit welchem sie auf ironischen Weise die Frauenrolle und die bürgerliche Gastkultur aufdeckt.

Die künstlerischen Arbeiten werden um die Textarbeiten von sieben Literatinnen ergänzt, welche ihren Überlegungen zu Ida Dehmel in Worten ausdrücken. Neben den Kunstwerken finden sich Texte und Gedichte von Therese Chromik, Brigitte Halenta, Marion Hinz, Charlotte Kerner, Regine Mönkemeier, HannaH Rau und Kristin Warschau.

Insgesamt habe ich ihnen in diesem kurzen Abriss gerade 28 Bildende Künstlerinnen und 7 Literatinnen vorgestellt und einen kleinen Überblick über die thematische Vielfalt sowie den Facettenreichtum der Ausstellung gegeben. Viele der Künstlerinnen stellen weitere, von mir nicht besprochene, Arbeiten aus. In diesem Sinne auf zu Tisch und viel Freude beim Entdecken der Arbeiten!

Anne Simone Krüger, Kunsthistorikerin M.A., 2016


 


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