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III + ∞ [Farbräume] Vielen Dank für die
Möglichkeit,
hier sprechen zu können, auch von mir ein herzliches Willkommen zur
Eröffnung
der Ausstellung: III
+ ∞ [Farbräume] Was Sie hier in den
nächsten Wochen
durchwandern können, ist eine ganz besondere Art von Ausstellung: Die
künstlerische Leiterin Frau Stefanie Fricke hat das von ihr betreute
Haus in
die Hände der Künstlerinnen Birgit Bornemann und Barbara Engel gelegt.
Das
heißt in diesem speziellen Fall, dass die Idee, welche Arbeiten hier
unter
welchen Aspekten in den jeweiligen Räumen zusammenspielen werden, von
den
Künstlerinnen als Konzept eingereicht wurde. Selbstverständlich
entwickelt und
verändert sich eine Zusammenstellung (die Ursprungsidee wurde vor fast
genau
vier Jahren vorgelegt), je länger man an einem Projekt arbeitet (neue
Arbeiten
entstehen und kommen hinzu, bringen neue Impulse und bewirken so
vielleicht den
Ausschluss einer anderen Arbeit, die nun in dieser neuen Konstellation
ins
Abseits gerät) – und so haben sich die beiden Künstlerinnen auch ein
ganzes
Stück Freiheit und Vertrauen erbeten, eine Präsentation nach ihren
Vorstellung
wachsen zu lassen. Ein Vertrauen, das von Seiten der künstlerischen
Leitung
auch darin besteht, dass angemessen auf den historischen Ort Drostei
reagiert
wird. Sie werden bei Ihrem
Besuch in den
Räumen sehen, dass dieses Vertrauen in die ‚freundliche Übernahme‘ sich
gelohnt
hat, und im Laufe des Entstehungsprozesses eine Ausstellung gewachsen
ist, in
der die zeitgenössische Kunst den
barocken Raum aufgreift, einbezieht, ihn konterkariert und
herausfordert. Bereits in der
Namensgebung
‚Farbräume‘ klingt das Spannungsverhältnis zwischen aktueller Kunst und
historischem Gebäude an. Denn nicht nur tragen wir heute an die
bildende Kunst
die Erwartung heran – je nach Medium – neuen (Farb)/räume für uns als
Betrachter zu öffnen, die Idee tatsächlich gebaute Räume durch die
Dominanz
einer Farbe in ihrer Ausstattung zu kennzeichnen und mit einer
bestimmten
Stimmung auszustatten oder Funktion zu versehen ist traditionsgebunden.
So
finden wir spätestens seit dem Barock ‚blaue Salons‘ und ‚bunte
Kammern‘. Das
wohl bekannteste Beispiel einer literarischen Umsetzung dieser Praxis
ist die
Geschichte ‚Die Maske des roten Todes‘ von Edgar Allan Poe, in dem die
Gäste
von einem Raum mit Farbthema in den nächsten weiterziehen (um im roten
Raum ihre
Feier, aber auch ihr Leben zu beenden). Mit der Idee, Räume von
bestimmten
Farben dominieren zu lassen, spielt auch die ab heute hier geöffnete
Ausstellung und bringt Kunst und Raum zusammen: Da gibt es z. B. einen
gelben Raum.
Im Frühling verbinden wir die Farbe Gelb mit Neuanfang, mit
Sonnenschein,
Blüten, Wärme – und wenn Sie an einem sonnigen Tag in das Zimmer
treten, werden
Sie über den Ausblick der Fenster in dieser Assoziation bestätigt.
Allerdings
ist ‚Gelb‘ in der bildenden Kunst sowohl maltechnisch wie auch
historisch
tatsächlich keine einfache Farbe. Aus kunsthistorischer Sicht möchte
ich ergänzen,
das Gelb bis in die frühe Neuzeit als Farbe des Verrats und der
Missgunst verwendet wurde – so stattet
Giotto
beispielsweise seinen Judas in der Arenakapelle mit einen gelben Umhang
aus,
wenn dieser bei der Gefangennahme Christi dem von ihm verratenen Herrn
einen
letzten Kuss gibt. Das Spektrum reicht also von positiver Frische und
Energie,
bis zur Identifikation als Symbolwert für einen hinterhältigen,
neidischen
Charakter. Innerhalb dieses
Bedeutungsspektrums dem Gelb nun malerische Nuancen abzugewinnen, die
es
kontrastreich einen Raum dominieren lassen, ist eine besondere
Herausforderung.
Barbara Engel löst diese Aufgabe einerseits in ihren Arbeiten und in
der
Bespielung des Raumes an sich. Gezeigt werden darin die großformatige
Arbeit
‚Die Filmemacherin‘ sowie kleinere Leinwände, die fragmentarisch
Medusenhäupter
oder einzelne Augen darstellen. Die Filmemacherin, das ist in diesem
Fall die
Berliner Regisseurin und Autorin Helke Sander, die sich durch ihre
politische,
sozial-kritische, feministische Arbeit bewusst mit den Rollen und den
Aufgabenzuweisungen für Frauen auseinandersetzt – ebenso mit den
Konsequenzen
bei Übertretung gesetzter Grenzen. 1973 fragte sie ‚Macht die Pille
frei?‘, und 1992 brachte Sie durch ihren
Film
‚Befreier und Befreite‘ das Thema der Massenvergewaltigungen durch
Angehörige
der Roten Armee in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Jemand also, der
genau
hinschaut, und ein Schlaglicht auf Themen wirft, die nicht als blinde
Flecken
oder als angerkannte Gegebenheiten in unserer Gesellschaft hingenommen
werden
sollten. Tatsächlich sind ‚der Blick‘ oder das ‚Sehen‘ neben der Farbe
Gelb das
zentrale Thema des Raumes – ob nun durch die Fokussierung auf den
kritischen
Blick oder durch die Abwesenheit des Blickes. Denn neben der
kämpferischen
Helge Sanders erinnern uns die gesichtslosen Medusenköpfe an eine
mögliche
Reaktion auf wirkmächtige, selbstbewusste, agierende Frauengestalten:
Sie
werden in den Geschichten und der Historie zu Hexen, zu unheimlichen
Hybridwesen, die wie im Falle der Medusa aus der griechischen
Mythologie mit
Schlangenhaaren ausgestattet jeden Mann zu Stein erstarren lässt, der
sie
direkt anschaut. Man hüte sich also vor der Weibesmacht und Weibeslist!
Erst
Perseus gelingt es, dieses Ungeheuer zu besiegen (in dem er sie über
die
Reflektion in seinem Schild anvisiert und ihr dann den Kopf abschlägt). Den Raum runden zwei
Einzeldarstellungen von Augen ab, die den Rhythmus der Wand, vorgegeben
durch
die Fenster, aufgreifen. Hier ist er also, dieser ganz besondere Blick,
dem wir
uns stellen müssen und der nicht zuletzt aufgrund der Anbringung auf
die Frage
des Sehens und Wahrnehmens zurückwirft, wenn wir zwischen Ausblick auf
die
freundliche Frühlingswiese und den gemalten Augen hin und her wandern.
Ganz
bewusst hat Barbara Engel hier Überlagerungen und Verläufe sichtbar
gelassen.
Sie stören den ungehinderten Blick und die schnelle Fokussierung auf
das Motiv,
sondern lenken uns auf das Bild als Objekt, auf seine Oberfläche und
seine
Entstehung – und spätestens hier entdecken Sie beim genauen Betrachten
eine
Vielzahl von Variationen der Farbe Gelb, die aus dem Zusammenspiel aus
Pastell
bis in hin zu Grau oder Grünvermischungen sowohl Assoziationen mit
Wärme und
Neuanfang, wie auch Krankheit auslösen können. Neben vielen ‚bunten‘
Farben auf
diesem Stockwerk, empfängt Sie eine Treppe höher die ‚Grauzone‘.
Variationen
des Farbtons finden Sie in allen Arbeiten – ich möchte
hier eine wiederum herausgreifen, nämlich die
Installation ‚Hirngespinst‘ von Birgit Bornemann. Hier stehen wir vor
einem
Bettgestellt und sehen einer schlafenden Frau zu. Dies allein ist
bereits ein
intimer Einblick, allerdings dringt der Betrachter noch weiter vor und
kann die
Träume und die langsame Ablösung von Realität und die zunehmende
Verstrickung in
die Eigenheiten von Träumen begleiten. In dieser speziellen Grauzone im
Übergang zwischen Wachen und Träumen und dem Schlaf übernimmt nun das
Unterbewusstsein die Regie. Unser ‚normales‘ Verständnis von Realität
und
Wirklichkeit bestimmt nicht mehr die Gesetzmäßigkeiten. Wir sehen wie
die
Bilder des Tages langsam überlagert werden von weißen Gespinsten. Immer
enger
werden die Netze, die sich darüber spannen und langsam die Eindrücke
überlagern, verfremden, bis sich der Geist in den unmöglichsten
Hirngespinsten
verfängt. Dies kann zum einen als Konterkarieren des weithin als
‚unschuldig‘
wahrgenommenen Farbton ‚Weiß‘ gesehen werden. Damit greift die Arbeit
innerhalb
des Ausstellungskonzeptes erneut den Umgang mit den Assoziationen von
Farben
auf, die historisch erwachsen und verankert sind. Andererseits
ermöglicht uns
das Träumen jedoch auch eine Verarbeitung aller Bilder und Eindrücke,
die im
Laufe des Wachzustandes aufgenommen werden und nur so als Erinnerung
abgelegt,
als unwichtig eingestuft und vergessen werden können. Es wird erneut
Raum
geschaffen für die neuen Eindrücke des neuen Tages, der nun mit einer
blanken –
weißen – Leinwand beginnen kann. Abschließen möchte ich mit dem roten Salon. Sie finden in diesem gemeinsam gestalteten Raum sowohl Arbeiten von Barbara Engel wie auch von Birgit Borneman, die noch einmal auf das Gesamtkonzept der Ausstellung ‚Farbräume‘ verweisen. Eigentlich liegt hier der Anfang des Projektes, etwas versteckt: Quasi als Belohnung für diejenigen, die sich trauen, dem schneckenförmigen Gang aus Paravents ins Innere zu folgen, hängt dort eine Arbeit von Birgit Bornemann. Deren Ausgangspunkt ist ein Spiegel, der als solcher jedoch nur noch Motiv ist. Die Qualität des Widerspiegelns ist jedoch durch die Glasoberfläche des Objektes noch erhalten. Der Betrachter erkennt somit noch seine Reflektion. Diese verbindet sich jedoch mit dem Motiv des Objektes, das ebenfalls zu sehen ist. Das eigene Abbild legt sich über die Spuren eines vergangenen Abbildes, einer früheren Situation, die eine andere Person beim Umkleiden zeigt. Hier wird mit den roten Verfärbungen auf der Spiegelfläche der (Farb)ton für den Raum gesetzt, aber auch inhaltlich das Thema des Ankleidezimmers markiert. Es gibt hier Vieles, was mit den Aspekten von Bekleidung gelesen werden kann. Die Readymades der Torsi von Schaufensterpuppen beispielsweise in den Nischen, der Paravent, der Schutz vor neugierigen Blicken beim Entkleiden bietet, der Spiegel als unverzichtbares Inventar zum kritischen Überprüfen und natürlich die gemalten Kleiderhaufen auf runden Leinwänden von Barbara Engel, die auf dem Boden verteilt liegen. Doch natürlich schwingt hier nicht nur das Ankleiden mit, sondern auch die unterschiedlichen Rollen, in die wir gleichzeitig durch die Wahl unserer Bekleidung markieren. Ob man nun eine Krawatte umbindet, um ein bestimmtes Bild zu erzeugen, oder sich für die Pumps anstatt der Turnschuhe entscheidet, einen klassischen Blazer gegen die Lederjacke tauscht um das Bild der Kunsthistorikerin ‚ironisch‘ zu brechen – die Idee, durch das Äußere eine Rolle auszufüllen ist jedem vertraut. Damit setzt sich unter anderem die Arbeit Bornemanns auseinander, bei der auf rot eingefärbten Glasplatten, auf Kleiderbügeln hinter einander gehängt wie Einzelbilder aus einem Kernspintomographen Schicht für Schicht, unterschiedliche Facetten und Sichtweisen auf die eigene Person – Innenbild oder von außen an uns herangetragen? - abgetragen oder angelegt werden. Die gesamte Präsentation im Ausstellungsraum macht darüber hinaus auch den Raum als solches erfahrbar und holt ihn zurück ins Bewusstsein. Die auf dem Boden liegenden Motive können umschritten und der Raum zwischen ihnen durchmessen werden. Die Torsi in den Raumnischen sind ebenfalls nicht nur als thematisch lesbare Objekte eingestellt, sondern wiederholen die klassische Platzierung von Skulpturen in Nischen, die somit Architektur und Ausstattung als ein Gesamtkonzept und aufeinander bezogen präsentieren. Hier wird die Drostei in ihrer barocken Ausprägung zum Mitakteur und die Grundidee der Kombination der Medien Fotografie / Film (durch Birgit Bornemann) und der Malerei (durch Barbara Engel) durch das Medium Architektur erweitert. Dr.
Susanne Schwertfeger, Kunsthistorisches Institut der CAU Kiel, 2016 |
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