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norderstedtisch (...) Die Ausstellung
ist nicht ganz
leicht einzuordnen: was wir sehen ist weder in erster Linie der
Landschaftsfotografie,
noch der Architekturfotografie oder dem Dokumentarischen zuzuordnen –
auch wenn
Aspekte von all dem auftauchen. Vielleicht hilft uns der Begriff des
Porträts
am ehesten weiter – auch wenn nur wenige Menschen abgebildet sind; und
selbst wenn,
sind diese selten genau zu erkennen. Doch lassen Sie uns
zunächst kurz
beim Titel der Ausstellung bleiben, bevor ich diesen Aspekt vertiefen
möchte.
„norderstedtisch“ heißt eine der drei hier gezeigten Serien und
„norderstedtisch“ ist auch der Titel der Ausstellung. Zunächst einmal
ist das
ein Verweis auf den Ort, an dem die Bilder entstanden sind und an dem
sie nun
gezeigt werden – ein ortsbezogenes Adjektiv, das etwas bezeichnet, das
hierher
gehört, besonders typisch für diesen Ort ist oder von hier stammt. Doch
der
Klang des Wortes – beziehungsweise des zweiten Wortteils – führt auch zu einer
ironischen Anspielung: „städtisch“, das klingt nach Stadt, nach Trubel,
Hektik,
Sprachgewirr, vollen Straßen, hohen Häusern, Leuchtreklamen. Doch
nichts von alledem
finden wir in Birgit Bornemanns Fotografien wieder. Wenige Bilder sind
eindeutig dem urbanen Leben zuzuordnen, wenngleich etliche versteckt
oder offen
darauf verweisen. Die Gegensätze oder auch Abhängigkeiten von
ländlichem und
städtischem Leben, von kleinstädtischen und großstädtischen Strukturen
und
Abläufen werden sowohl im Titel wie in den einzelnen Bildern
reflektiert. Die
Fotokünstlerin verwendet hierfür den schönen Begriff des „Lebens in
Metropolrandlage“. Dieses darzustellen sowie mit Ironie und
Selbstironie zu
beleuchten, ist eines ihrer Ziele. Sie tut das an dem Ort, an dem sie
seit
vielen Jahren lebt – in der Großen kreisangehörigen Stadt Norderstedt. Hier möchte ich wieder
auf den
Begriff des Porträts zurückkommen, jedoch nicht auf die einzelnen
Bilder
bezogen, sondern auf die Ausstellung als Ganzes. Vielleicht müssen wir
sie als
ein subjektives und persönliches Porträt der Stadt Norderstedt
auffassen. Birgit Bornemann
zeichnet mit den
drei hier gezeigten Serien ein persönliches Bild ihres Lebensumfelds in
Metropolrandlage, und sie gewährt uns darüber hinaus Einblicke in ihre
Gedankenwelt. Birgit Bornemann zeigt
hier eine
reine Foto-Ausstellung, doch ich stelle sie bewusst nicht als
Fotografin,
sondern als Fotokünstlerin vor. Sowohl in ihrer Ausbildung an der
Kunstakademie
Düsseldorf und als Meisterschülerin des Bildhauers und Zeichners David
Rabinowitch wie auch in ihrem sonstigen Schaffen arbeitet sie auch mit
diversen
anderen Techniken und Materialien. Dieser Hintergrund findet Eingang in
die oft
sehr klar und streng gegliederte Gestaltung ihrer Fotoarbeiten, deren
Bildraum meist
von starken Linien unterteilt wird. Eine malerische Anmutung erhalten
viele der
ausgestellten Bildwerke außerdem durch das verwendete Material, das bei
zwei
der gezeigten Serien eher an Aquarellpapier erinnert als an Fotopapier.
Zudem
finden sich neben malerischen Aspekten auch filmisch erzählende Momente
in
Birgit Bornemanns Fotografien wieder. Die von der Künstlerin
in den Fokus
gerückten Details sind zumeist eher unscheinbar, liegen häufig im
Verborgenen
oder zumindest abseits der Wege; es ist nicht das, was man erwartet,
wenn man
sich eine Dokumentation über den Umbau des Areals anschaut. Und gerade
das
reizt sie: Dinge zu fotografieren, die häufig übersehen werden. Hiermit
will
sie den Blick der Betrachter schärfen und öffnen für die Schönheit
abseits von
Sehgewohnheiten und für die Poesie des Alltäglichen. Sowohl dieses Anliegen
wie auch die
erwähnten Gestaltungsprinzipien treffen ebenso auf die anderen beiden
hier
gezeigten Serien zu. Alle drei sind analog fotografiert. Während die
Serie
„potenbergisch“ als Kleinbilddia belichtet wurde, kam bei den anderen
beiden
Serien eine Mittelformat-Kamera zum Einsatz. Die Bildformate –
quadratisch oder
rechteckig – sind von der Kamera vorgegeben und nicht nachträglich als
Ausschnitte gewählt. Weil die Künstlerin die gesamte Bildfläche des
Dias bzw.
des Negativs zeigt, muss sie bereits beim Fotografieren entsprechend
präzise
arbeiten. Außer dem anderen Format
und der
anderen Aufnahmetechnik unterscheidet sich die Serie „andernorts“ auch
inhaltlich stark von „potenbergisch“. Während dort ausschließlich
Fundstücke,
also vorgefundene und unveränderte Objekte abgebildet wurden, handelt
es sich
bei „andernorts“ größtenteils um von der Künstlerin arrangierte und
inszenierte
Gegenstände. Jedes Bild für sich gibt einen flüchtigen Moment wieder.
Als Serie
betrachtet erhalten sie eine erzählerische Dimension. Es ist ein
selbstverständlicher und häufig unbewusster Vorgang, dass der
Betrachter einer
Reihe von Bildern versucht, diese in Beziehung zueinander zu setzen. So
sucht
man nach einer Verbindung und findet sie zunächst vor allem in der
Abwesenheit
von Menschen. Gleichwohl ist jedes Bild von menschlichem Handeln
geprägt.
Abgebildet sind vor allem persönliche Gegenstände aus dem Besitz einer
Person:
ein Kleid, Schuhe, eine Fotosammlung, ein schlichtes
Picknick-Arrangement. In
der Aneinanderreihung ergibt sich daraus eine Geschichte, die mit
Sicherheit für
jeden Betrachter andere Züge trägt. Der naheliegende Wunsch, etwas über
die
Person, der diese Gegenstände gehören, zu erfahren, wird nicht erfüllt.
Die abgebildeten
Indizien einer individuellen Alltagsrealität vermitteln lediglich die
Idee
einer Person, ohne verbindliche Informationen über deren Identität zu
geben. Es
ist eine imaginäre Person, deren fiktive Biografie und Persönlichkeit
in den
Fotos angedeutet wird. Je umfangreicher und intensiver der Betrachter
diese
Persönlichkeit in seiner Phantasie ausgestaltet, umso mehr trägt er
dazu bei,
das in dieser Serie angelegte Porträt ohne Antlitz zu vervollständigen. Auch in dieser Serie
befasst sich
Birgit Bornemann also mit Wahrnehmung und mit Sehgewohnheiten. Auch
hier
scheint eine gewisse Melancholie über allem zu liegen. Verstärkt wird
diese
noch durch die Farbveränderungen und Verblassungen, die sich daraus
ergeben,
dass die Fotokünstlerin sich bewusst entschieden hat, altes,
abgelaufenes
Filmmaterial zu verwenden. Und auch hier sind die Aufnahmen präzise
komponiert.
Insgesamt fällt im Werk von Birgit Bornemann auf, dass ihre Bilder
häufig von
einer starken waagerechten Linie unterteilt werden oder von einer
Diagonalen,
die exakt in einer der Bildecken endet. Die dritte Serie
schließlich –
„norderstedtisch“ – zeigt wieder eine völlig andere Art der
Inszenierung.
Spielerisch und ironisch zeigt sie Szenen, die eher dem ländlichen als
dem
städtischen Leben zuzuordnen sind. Wie ich bereits erwähnte, haben
viele der
Bilder einen erzählenden Charakter, scheinen teilweise Standbilder aus
einem
Film zu sein. In der Serie „norderstedtisch“ fällt auf, dass die
Kulisse immer
scharf und präzise abgebildet ist, während die handelnden Personen nur
schemenhaft zu erkennen sind, wie eine Überblendung wirken. Doch wie
ich
eingangs erwähnt hatte, fotografiert Birgit Bornemann analog – in
diesem Fall
wieder mit der 6x6 Mittelformatkamera als analoge Diapositive. Wer von
ihnen
sich noch erinnert, wie es war, als jeder Druck auf den Auslöser teures
Material verbraucht hat und man außerdem nicht nach einer Sekunde auf
dem
Display, sondern erst nach einer Woche im Fotogeschäft die Ergebnisse
überprüfen konnte, kann vielleicht im Ansatz nachvollziehen, wie
sorgfältig
solche Fotografien durchdacht und vorbereitet werden müssen. Birgit
Bornemann
tut dies, weil sie ihre Bilder nicht digital nachbearbeitet. Was Sie
hier
sehen, ist allein in der Kamera entstanden und nicht nachträglich
korrigiert.
Die teilweise düstere Stimmung entsteht durch das konsequente Nutzen
des
abendlichen Dämmerlichts. Den Effekt der Überblendung von schemenhafter
Person
und scharfem Hintergrund erreicht die Künstlerin durch extreme
Langzeitbelichtungen mit bewegten Protagonisten. Die abgebildeten
Personen sind oder
waren Einwohner Norderstedts. Der eine oder andere von Ihnen wird
vielleicht
ein bekanntes Gesicht wiederfinden. Wie gesagt, gibt die Künstlerin uns
Rätsel
auf, ihre Bilder sind nicht bis ins letzte entschlüsselbar. Selbst für
Ortskundige dürfte es schwierig sein, sämtliche Werke eindeutig
zuzuordnen. So
darf man spielerisch auf die Suche nach Bekanntem und Vertrautem gehen.
Doch
wichtiger als dieses Entschlüsseln ist für Birgit Bornemann das Lenken
des
Blicks auf das, was an Schönheit, Skurrilität und Poesie abseits des
Wegesrandes liegt. Wie in den anderen
gezeigten Arbeiten
taucht auch hier das Thema der Vergänglichkeit auf. In dieser Serie
wird es
besonders deutlich, weil die Künstlerin uns darauf hinzuweisen scheint,
dass es
den Ort sowohl mit als auch ohne die abgebildeten Menschen oder Tiere
gibt. Wie
immer bei der Thematisierung von Vergänglichkeit lassen sich auch diese
Bilder
als Memento mori lesen – als Erinnerung an die Endlichkeit des eigenen
Lebens.
Doch das ist nicht die Hauptintention der Künstlerin. Ihr geht es
vielmehr
darum, die Flüchtigkeit des Augenblicks zu betonen. So wie sie in der
Serie
„potenbergisch“ die unbeachteten Details der Industriebrache in den
Mittelpunkt
ihrer Arbeit gestellt hat, nimmt sie hier flüchtige Momente auf, die
unwiederbringlich
sind. Auch hier interessiert sie sich für das, was häufig übersehen
wird, für
kleine skurrile Begebenheiten, poetische Momente, für das Absurde und
für die
Schönheit, die all dem innewohnt. Mithilfe dieser kleinen Geschichten
begibt
sie sich auch auf die Suche nach der Geschichte, der Historie der
jungen Stadt
Norderstedt. Viele der abgebildeten Orte existieren so nicht mehr.
Natürliche
Verfallsprozesse, Abriss- oder Baumaßnahmen haben sie stark verändert.
Somit
sind die gezeigten Aufnahmen nicht wiederholbar. Das macht sie zu
Zeitdokumenten. (...) Stefan Dupke M.A., Kurator und Kulturmanager, Hamburg, 22.11.2013, über "potenbergisch", "andernorts" & "norderstedtisch" |
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